Mag. Gabriele Brandmaier

durch die krise wachsen - dem neuen in mir heimat geben

Jede Psychotherapierichtung hat ein Verständnis des Menschen, ein bestimmtes Menschenbild, von dem abhängt wie der Therapeut mit dem Klienten arbeitet. Es geht um die Fragen was den Menschen eigentlich ausmacht und was für seine Heilung notwendig und wesentlich ist.

Das Menschenbild, das Viktor Frankl und in der Weiterführung Alfried Längle beschrieben hat, ist für mich sehr wichtig und der Grund warum ich als Existenzanalytikerin arbeite. Die Begegnung von Mensch zu Mensch ist mir in der Therapie ein großes Anliegen. Dabei hilft die sogenannte phänomenologische Haltung. Das ist eine Haltung der Offenheit für das was sich jetzt zeigen will. Das Vorwissen wird dabei zurück gestellt, so dass der Begegnungsraum sich nicht durch voreilige Interpretationen schließt. Das Dritte, das Neue, das Überraschende, das ganz Andere, das was man sich nicht ausdenken kann, soll Raum bekommen und wirksam werden. Denn sobald sich der dialogisch offengehaltene Zwischenraum weiter auf tun darf, ist er voller Hin - und Hergehen lebenswirksamer Information.Der Mensch soll in seinem Wesen angetroffen werden. Das tiefere Verstehen  des anderen bzw. von sich selbst ist wichtig und das soll die wesensmäßige Entfaltung fördern, d.h Klarheit in Erkenntnis, Fühlen, Entscheiden, und in der Orientierung bringen. Das ist Grundlage für eine erfüllte Existenz. Vor der Methodik steht also in der existenzanalytischen Psychotherapie die Person, die in ihrer Freiheit angesprochen werden soll.

Existenzanalyse und Logotherapie ist in Österreich eine anerkannte psychotherapeutische Richtung, die vom Wiener Psychiater und Neurologen V.E. Frankl in den 30er Jahren begründet wurde.

Logotherapie ist eine sinnorientierte Beratungs – und Behandlungsmethode, die Anleitung und Hilfestellung bei der Suche nach Sinn gibt. Logos = Sinn

Die existenzanalytische Psychotherapie hat das Ziel mit innerer Zustimmung handeln und leben zu können. (Authentizität)

JA zu den Bedingungen, in die ich gestellt bin (Schicksal, mein Körper, usw.)

JA zum Leben (auch bei Krankheiten, Verlusten, Kränkungen, Verletzungen)

JA zu mir als Person ("ich schätze mich in meinen Stärken und Schwächen")

JA zu dem, was ich zu meiner Aufgabe mache (Sinn)

Als phänomenologisch – personale Psychotherapie ist die Arbeit auf ein (geistig und emotional) freies Erleben, auf authentische Stellungnahmen und auf einen eigenverantwortlichen Umgang mit dem eigenen Leben und der Welt ausgerichtet.

Die eigentlich humane Dimension im Menschen ist nach Frankl die Geistige. Durch sie muss der Mensch sich nicht identifizieren mit z.B seiner Angst oder seiner Depression, sondern er weiss dass er sie hat und kann sie befragen, sich auseinandersetzen, ihr trotzen (Trotzmacht des Geistes) und im besten Falle durch die Krankheit wachsen, indem er dazu lernt und sich neu und erweitert in Beziehung setzt zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Welt.

Menschsein bedeutet bei Frankl nicht nur ein Gelenkt- und Getriebensein von unbewussten Konditionierungen und Kräften, sondern menschliche Existenz bedeutet Auseinandersetzung und dialogischer Austausch (Begegnung) zwischen der Person und ihrer Welt. Wie in einer liegenden Acht findet ein ständiger Austausch nach innen und nach außen statt. Der Mensch als Person ist ansich frei und hätte immer wieder die Möglichkeit auch in schwierigen Situationen und "schwierigen Menschen" gegenüber,  frei (im Sinne der Förderung des Lebens) zu entscheiden.

Ziel der Therapie ist also nicht nur die Anpassung der Triebhaftigkeit an die Wirklichkeit (S. Freud) oder die mutige Gestaltung der Wirklichkeit seitens des Ich (A. Adler), sondern auch die Erfüllung, die sich in der Sinnfindung verwirklicht. Sinn findet der Mensch durch Verwirklichung der Werte, innerhalb der Einmaligkeit seiner Existenz und der Einzigartigkeit seines Schicksalraumes. Das ist seine Ver–antwortung, nämlich Antwort zu finden auf seine Lebensfragen, ständig Angefragt - sein durch erlebte und gespürte Werte (Beziehungen, Aufgaben usw.), die ihm deswegen nicht gleichgültig sind, weil es bei ihnen um etwas geht: um den Wert des eigenen Lebens und um den Wert der erlebten Situation. Das Gewissen als Sinnorgan erspürt diese Werte, von Situation zu Situation. Gewissen ist keine moralische Instanz, sondern angeborene Urteilskraft über „richtig und falsch“, ob also der Wille konform geht mit dem Drängen der richtigen Werdeimpulse oder ihnen entgegensteht, ob etwas „stimmig“ ist oder nicht.
Ist dieser zutiefst menschliche Vorgang des dialogischen Austausches verstellt oder behindert, kann der Mensch weder seinem Wesen, noch seiner Umwelt gerecht werden. Er selbst  - und manchmal auch die anderen - beginnen an der Verfremdung zu leiden. So entsteht Schmerz und Krankheit.


In der personalen Existenzanalyse nach Alfried Längle wendet man sich in der Therapie den Blockierungen zu, die die Bereitwilligkeit zur Hingabe, die Sinnfindung stören können. Man kümmert sich um die Tiefenperson. Als Voraussetzung für eine erfüllte Existenz nennt Längle vier persönlichkeitsstrukturierende Grundmotivationen, die mit folgenden Fragen verbunden sind: „Kann ich sein? (Seinsgrund = letzter Halt, Grundvertrauen), Mag ich leben? (Grundwert = Zustimmung zum Leben),  Darf ich so sein wie ich bin? (Selbstwert = Zustimmung zur Art des eigenen Erlebens und zur Weise des Verhaltens und Handelns), Wofür will ich leben? (Wille zum Sinn = der Mensch will Sinnvolles durch Wertverwirklichung, eine lebbare Zukunft)